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Holzhäuser Heidelbeermärchen

Es war einmal vor langer Zeit, als noch der Nachtwächter mit Glocke und Gesang den friedlich schlafenden Bürgern Stunde um Stunde verkündete, da gab es eine kleine Siedlung am Fuße des Reinhardswaldes, die hieß: Holzhausen.


Dort lebten die Menschen von der Kohle, die sie mühsam ans Tageslicht förderten, von der beschwerlichen Feldarbeit, aber besonders in der Mitte des Jahres lebten sie von den ertragreichen Wäldern, in denen es große, große Flächen mit prächtigen Heidelbeeren gab. Die Heidelbeerwälder aber gehörten den Dörflern nicht. Sie waren einem Manne zu eigen, der im Dorfe nicht anders als der ‚Heidelbeerkönig’ genannt wurde. Nur noch die ganz Alten kannten seinen richtigen Namen: Wilhelm Monetarius. Dieser ließ die Menschen für sich arbeiten und zahlte den Holzhäuser Bürgern guten, gerechten Lohn. Einmal im Jahre aber stellte er ein großes Heidelbeerfest an, zu dem waren Alt und Jung geladen. Und buken die Frauen um die Wette, welcher von ihnen wohl der köstlichste Heidelbeerkuchen gelänge.


Monetarius aber war nicht nur der reichste Mann im ganzen Reinhardswalde, sondern er hatte auch eine Tochter, die war über die Maßen schön. Jedem Junggesellen, der ihr begegnete, schien schier das Herz zu brennen bei ihrem Anblicke. Ein schöneres Mädchen ward nimmer gesehen. Sie aber liebte die Heidelbeerwälder gar sehr, und war sie dort öfter anzutreffen als mitten im Dorfe.


Einmal war die Zeit des Heidelbeerfestes wieder gekommen, und Monetarius‘ Tochter wollte für das Fest einen ganz besonderen Kuchen backen. Sie hatte die größte Kötze, die der Vater daheim hatte, aufgebunden und betrat den Weg in den Wald. Sie musste lange, lange Zeit pflücken, bis die Kötze voll der blauen Beeren war. Nun geschah es, dass sich das Mädchen beim Herumspringen zwischen den Büschen den Fuß verletzte. Der Tag aber ging fast zu Ende, und sah sie keinen Pflücker mehr in der Nähe. So rief sie laut um Hilfe, doch nichts geschah. Schon wollte ihr alle Hoffnung schwinden, da trabte plötzlich aus dem tiefen Forst ein Wolf herbei. Nein, wie da das Mädchen erschrak! Doch der Wolf kam näher und begann, zu ihr zu sprechen. Freundlich sagte er, dass sie keine Angst haben solle. Er sei kein richtiger Wolf, nur müsse er für eine frühere Tat büßen. Darum habe die greise Weise auf der anderen Seite der Fulda ihn in einen Wolf verwandelt.


Das Mädchen hörte den Wolf an, wies ihm darauf ihren Fuß, der schmerzte sie gar sehr, und bat den Wolf, daß sie auf ihm nach Hause reiten dürfe. Der Wolf willigte ein, und trug er sie den ganzen, langen Weg bis zum Hause des Wilhelm Monetarius.


Am Tage danach fühlte sie in ihrem Fuße nur noch wenig Schmerz, und selbst der Vater konnte sie nicht davon abbringen, doch wieder in den Wald zu gehen. Diesmal aber war es ihr nicht um die Heidelbeeren zu tun, sondern nur um den Wolf. Es dauerte auch nicht lange, und er trat aus dem Dickicht heraus. Dem Mädchen hüpfte das Herz vor Freude. Sie setzte sich neben den Wolf, und hatten die beiden einander viel zu erzählen.


So erfuhr der Wolf auch vom Heidelbeerfest und dem Wettstreit. Und sie lud den Wolf ein, dass er auch kommen solle zum Feste. Das sagte er ihr gern zu, bedankte sich artiglich bei dem Mädchen und war gar froh, dass sie nun ohne Furcht vor ihm war. Darauf bat er das Mädchen, noch eine kleine Weile auszuharren, er wolle ihr etwas bringen.


Das Mädchen willigte ein, und binnen kurzer Frist war er auch schon zurück. In seinem Maule aber trug er ein kleines, helles Säckchen aus Linnen. Das legte er vor das Mädchen hin. Als es ihn voll Verwunderung anschaute, sagte der Wolf, sie solle die Würze aus diesem Beutel ihrem Kuchenteige beifügen. Das Mädchen nickte, dankte ihm, und der Wolf verschwand in der Dunkelheit des Waldes. Alle Tag zog es nun das Mädchen in den Reinhardswald, doch der Wolf ward von ihr nicht mehr gesehen.


Der Tag des Heidelbeerfestes war gekommen, und das Mädchen tat also, wie der Wolf sie zu tun geheißen, und würzte sie ihren Teig mit dem Inhalt des Säckchens. Nun waren die Heidelbeerkuchen alle gebacken und standen in langer Reihe nebeneinander auf der großen Wirtshaustafel. Und sah einer immer noch köstlicher aus als der vorige. Endlich war die Zeit gekommen, daß die Kuchen sollten gekostet werden. Dies war wie immer drei Männern anheimgestellt, Wilhelm Monetarius und dem Dorfschulzen und dem Schulmeister Holzhausens, und probierten sie die Heidelbeerkuchen, um ein Urteil zu finden über ihren Geschmack. Alle Jahr hatte es unter ihnen verschiedene Meinung gegeben, die aber dann beim kühlen Biere oder beim Heidelbeerlikör doch immer zu einer geworden waren.


Dieses Mal aber war es anders: am Ende der Verkostung waren die drei Männer so einig wie nie. Die Dörfler warteten bei Trunk und Tanz auf das diesjährige Ergebnis. Aber wie überrascht waren sie, als dann die Tochter des Wilhelm Monetarius die Dorffrauen besiegt hatte, und kam Geraune auf und groß Getuschel. Besonders die alten Holzhäuserinnen, die viel Erfahrung hatten im Backen von Kuchen, die ließen ihrem Unmut freien Lauf, und fühlten sie sich betrogen. Erzürnt standen die angetrunkenen Männer ihren Frauen zur Seite und forderten Gerechtigkeit. „Betrug!“ - „Vetternwirtschaft!“ - „Schieberei!“ Mit solchen Worten wurden die Holzhäuser lauter, und schon begannen einige, handgreiflich zu werden.


Da lief wie aus dem Nichts ein Wolf daher, und voller Furcht stob die Menge nach allen Seiten auseinander. Wie gebannt sahen Bürger und Bauern auf den Wolf. Nur Monetarius‘ Tochter nicht, gar froh ging sie zum Wolf und hockte sich nieder zu ihm. Sie wollte ihm alles erzählen, doch wusste der es bereits. So bat er sie, ihm dreimal das Kinn zu kraulen. Das tat sie, einmal, zweimal, dreimal, und die Holzhäuser wussten nicht, was sie davon halten sollten.


Plötzlich aber brach das Fell des Wolfes auf, und ein junger, schöner Knabe erhob sich aus dem Tierkörper. Fassungslos schauten die Bürger zu. Der schöne Knabe aber bat das staunende Volk, dem Mädchen einen zweiten Versuch zu verstatten. Aber das Mädchen sah ängstlich zum Knaben, hatte es doch diesmal kein Säckchen mit Würze. Er aber blickte sie lächelnd an und nickte ihr zu, es werde schon gutgehen. Und so buk sie vor den Bürgern Holzhausens ihren Kuchen noch einmal, zwei große Bleche voll. Alle Holzhäuser schmeckten alsdann den Kuchen, und mussten sie zugeben, dass es mit dem Urteil der drei Männer seine Richtigkeit hatte.


Im Jahre darauf aber, beim wiedergekehrten Heidelbeerfeste, heirateten das Mädchen und der Knabe und feierten ihre Hochzeit drei Tage lang. Und wenn sie nicht gestorben sind, so feiern sie wohl noch heute.

© 2003 by Dagmar und Burckhard Garbe (Holzhausen)