Aus der Geschichte von Holzhausen: Ein unschätzbares Dokument einer nordhessischen Mundart

Vor 100 Jahren vollendete Heinrich Hermann Soost seine Dissertation zum Dialekt von Holzhausen am Reinhardswald

Von Dr. Stefan Arend

 

Eigentlich sollte in diesem Jahr in Holzhausen groß und intensiv gefeiert werden, denn der Ort am Südrand des Reinhardswalds kann in diesem Jahr auf 1.000 Jahre urkundliche Ersterwähnung zurückblicken. In einer Urkunde aus dem Jahre 1020, die von Kaiser Heinrich II. in Kaufungern ausgestellt wurde, wurde der Reinhardswald dem Bischof von Paderborn übertragen. Dabei wurde auch ein „oppdium holtsusun“ erwähnt, ohne großen Zweifel als das heutige Holzhausen zu identifizieren. Doch die Feierlichkeiten im Reinhardswalddorf mussten aufgrund der Corona-Krise abgesagt werden. Sie sollen jetzt im kommenden Jahr 2021 nachgeholt werden.

 

Doch neben 1.000 Jahren Ersterwähnung gibt es ein zweites, rundes Jubiläum im Jahre 2020 mit einer großen Bedeutung für Holzhausen und auch für die nähere Umgebung, an das erinnert werden muss. Es ist nämlich exakt 100 Jahre her, dass Heinrich Hermann Soost (1890 - 1980) aus Ihringshausen seine Doktorarbeit über die Mundart von Holzhausen vorgelegt hat und mit dieser Untersuchung an der Universität Marburg beim berühmten Sprachforscher Professor Ferdinand Wrede zum Dr. phil. promoviert wurde. Soost hatte mit seiner Forschung schon gut 10 Jahre zuvor begonnen, musste seine Arbeit aber im Ersten Weltkrieg, an dem er als Offizier teilnahm, unterbrechen. Nach glücklicher Heimkehr schloss er seinen Text schließlich 1920 ab.

 

Soosts Doktorarbeit ist ein unschätzbares Dokument der Mundarten in Nordhessen. Denn nur für wenige Ortschaften im Lande gibt es so intensive Untersuchungen zur gesprochenen Sprache. Auf vielen hundert handgeschriebenen Seiten mit mehr als 4.500 Wort- und Lautbelegen dokumentierte Soost, wie den Holzhäusern Anfang des vergangenen Jahrhunderts der Schnabel gewachsen war. Da er seine Sprachbelege schon damals in einer normierten Lautschrift festhielt, kann man noch heutige ziemlich sicher nachempfinden, wie der Dialekt, das Platt in Holzhausen geklungen hat. Er selbst verbrachte als Kind und Jugendlicher lange Zeit in Holzhausen bei seinen Großeltern und beherrschte von daher die gesprochene Sprache im Dorf. Soosts Doktorarbeit wurde nie veröffentlicht und lagert bis heute – wohlgehütet – im Archiv des Forschungsinstituts für deutsche Sprache in Marburg.

 

Besonders interessant ist, dass die Mundart von Holzhausen an einer der wichtigsten Sprachgrenzen des deutschen Sprachgebiets lag. Die Sprache in Holzhausen wurde noch den mitteldeutschen Mundarten zugerechnet, im benachbarten Immenhausen und in Wilhelmshausen an der Fulda sprach man damals hingegen schon Niederdeutsch. So sagte man in Holzhausen „Wasser, machen und Milch“ (um nur einige wenige Beispiele zu nennen) und in Immenhausen und Wilhelmshausen „Water, maken und Melk“. Das klingt für heutige Ohren fast schon exotisch, aber im nördlichsten Hessen wurde damals Niederdeutsch gesprochen, so wie wir es heute aus Hamburg oder von der Ostsee her kennen. So tiefgreifend haben sich die Mundartregionen seit damals verändert.

 

Soost deutete dies bereits in seiner Arbeit vor 100 Jahren an. So stellte er fest, dass die Mundarten durch die Schriftsprache, das Hochdeutsche, Stück für Stück verdrängt werden. Insbesondere das Niederdeutsche sei, so Soost, durch den Einfluss des nordhessischen Wirtschaftszentrums Kassel und der dort gebräuchlichen Kasseler Stadtsprache, die zum Mitteldeutschen zählte, gefährdet. Auch durch die große Zahl von Arbeitern aus den ländlichen Regionen, die in den Kasseler Fabriken arbeiten, würde sich die Sprache in Nordhessen grundlegend verändern, meinte Soost schon 1920 zu erahnen. Er sollte (leider) Recht behalten. Immer weniger Menschen sprechen heute aktiv die alten, hier früher alltäglich gebräuchlichen Mundarten.

 

Doch auch wenn das Platt, so wie es Soost vor 100 Jahren für die Nachwelt festgehalten hat, in dieser Form schon lange nicht mehr existiert, denn Sprache ist immer einem ständigen Wandel unterworfen, so haben sich doch einige Laute und Wendungen erhalten, die man nie und nimmer gänzlich ablegen kann, wenn man zwischen Eder und Diemel aufgewachsen ist. Und die lassen einen auch in noch so fernen Gegenden als echten Nordhessen erkennen: Denn ds Lewen geht ewen allzuz ruff un runner besonners in bewechten Ziiten..! Einfach herrlich! Und wie gut, dass Heinrich Hermann Soost vor 100 Jahren diesen Sprachschatz für uns angelegt hat.

 

Dr. phil. Stefan Arend M.A.: Jahrgang 1963, aufgewachsen in Holzhausen / Reinhardswald. 1982 Abitur am Friedrichsgymnasium Kassel. Promotion über die Dialekte in Nordhessen am Forschungsinstitut für deutsche Sprache in Marburg / Lahn. Bereits seit Schulzeiten sind Kultur-, Heimat- und Regionalgeschichte seine große Leidenschaft. Er veröffentlichte gut 70 Arbeiten und Aufsätze zur nordhessischen Landeskunde.

Beruflich ist Arend als Geschäftsführer und Unternehmensvorstand seit 30 Jahren in leitenden Positionen der Gesundheitswirtschaft tätig. Er lebt mit seiner Familie bereits seit vielen Jahren in München, hat aber sein „Refugium Holzhausen“ nie aufgegeben.